Für Volkswagen Classic fünf tolle Tage auf Tour mit dem Golf I GTI von 1983.
Dritter Gang, Ortsdurchfahrt. Sprotzelnd nimmt der Einser-GTI die letzte Kurve, das letzte Haus wischt vorbei und die Straße öffnet sich zu einer langen Geraden. Jetzt passiert alles, was bereits vor 45 Jahren eins a beim GTI war: Beschleunigung aus der Tiefe des Raums, singende Drehzahl, später Schaltvorgang, Drehmoment, Drehmoment, Drehmoment. Sanft geht der GTI heckwärts in die Knie, reckt die filigrane Front mit dem rot umrandeten Kühlergrill in den Fahrtwind: Go, Golf! Und tatsächlich: Drei am Ortsausgang über ihren Mopeds und Rädern lehnende Jungs blicken gleichzeitig auf bei diesem unverwechselbaren Sound. Auf den GTI gerichtete Zeigefinger, tonlose Kommentare, drei Augenpaare folgen synchron dem kompakten schwarzen Auto. Genau das ist der Zauber, den der GTI bis heute versprüht. Du kannst dich ihm nie entziehen, und er kommt jedes Mal wieder.
Ähm, Entschuldigung: Wir driften etwas ab. Nicht von der Straße, aber ein wenig von der Erzählstrecke. Denn eigentlich wollten wir berichten, dass wir vom Team Volkswagen Classic auf der diesjährigen creme21 youngtimer rallye unterwegs sind. Was zum einen, wie wir alle in den vergangenen fast zwei Jahren erleben mussten, nicht selbstverständlich ist. Und zum anderen vor allem: fantastisch! Denn wohl kaum eine andere rollende Youngtimer-Veranstaltung bietet ein derart bunt gemischtes, abwechslungsreiches Starterfeld und so humorvolle „Wertungsprüfungen“ wie „die Creme“. Dieses Jahr schon zum 20. Mal ausgetragen, traditionell mit viel Orange, der Farbe der namensgebenden Creme-Dose.
Tolle Tage auf cremigem Überraschungskurs: Fünf Tage dauert sie, durchstreift mit uns die Magdeburger Börde in Richtung Dresden, schnürt nach Berlin zur legendären AVUS, die an diesem Tag exakt 100 Jahre alt wird, und endet schließlich in Leipzig. Was man in diesen knapp fünf Tagen zu sehen bekommt, ist außergewöhnlich und authentisch zugleich. Oft sind es wahre „Lost Places“, an denen wir zu Wertungsprüfungen stoppen: stillgelegte Kraftwerke, ehemalige Brikettfabriken, imposante Brauereien, bei denen substanziell Hopfen und Malz noch nicht endgültig verloren scheint. Immer wieder faszinierend überwucherte Industriearchitektur des späten 19. Jahrhunderts. Teilweise verlassen, teilweise von lokalen Vereinen erhalten, versehen mit kleinen oder großen Informationsangeboten. Spannend, definitiv eine Tour, die zum Nachfahren animiert. Zumal wir beschauliche Nebenstrecken nutzen.
Wolfsburger Quartett in Orange
Fahrspaß garantiert im Passat GT G60 von 1991
All das erleben wir hinter den Lenkrädern unserer vier Youngtimer vom Team Volkswagen Classic. Das Service-Team, Ceyhan Erdogan und Steffen Weise, pilotiert einen T3 California im Bestzustand. Gekühlte Getränke sind ebenso an Bord wie Starterbatterien, gut gefüllte Reservekanister für dynamisches Nachtanken auf der Etappe, Werkzeug und Fachwissen. Die beiden Jungs von Volkswagen Classic bieten einen tatsächlich perfekten Service – einen grundsympathischen noch dazu.
Team zwei mit der Startnummer 97 geht im drehmomentstarken Passat Variant GT G60 mit 160 PS, Syncro-Allrad-Technik und einer elektronischen Differenzialsperre (EDS) an den Start. Marco Degenhardt, Inhaber der „Halle 77“ und weithin bekannter Schrauber und Kommentator seines erfolgreichen Youtube-Kanals, hatte sich den 1991er Passat gemeinsam mit Freundin Nadine für die Tour gewünscht.
Für wechselnde Besatzungen mit diversen Pressevertretern dient der Scirocco II von 1985, Sondermodell „White Cat“. Der scheint gerade eben erst die Fertigungshallen verlassen zu haben, so perfekt sieht er aus.
Und wir so? Wir, das Team Anna Matuschek und Knut Simon, sitzen im Einser-GTI von 1983, also einem der letzten seiner Art. Klassische Fahrzeuge sind auch beruflich unsere absolute Leidenschaft – beim Schrauben wie beim Schreiben. Also, Startnummer 98 aufgeklebt und los geht’s! Moment: Anna muss erst noch unseren GTI mit einer bunten Blumengirlande umkränzen. Passt. Und ab geht’s.


Anna Matuschek und Knut Simon, Corrado, GTI I und aktueller GTI. Letzterer diente der angemessenen Anreise und hat jetzt Pause: Einser-GTI, übernehmen Sie!

Schrauber und Youtuber Marco Degenhardt mit Freundin Nadine wählen den 1989er Passat GT G60 für die Tour.

Am Ziel einer Rallye gibt’s ja meistens Blumen, bei uns schon am Start: Anna dekoriert creme21-like den GTI, Steffen Weise (l.) und Ceyhan Erdogan (m.) vom Team Volkswagen Classic dekorieren den Golf – mit der offiziellen Startnummer.

Zu Beginn gibt’s von Anna einen Glückskeks. Wenn das mal nicht motiviert!

„Satte“ 69 Turbodiesel-PS im T3 California reichen allemal, und so geht das Volkswagen Classic Service-Team auf Kurs. Und Start!

Team Passat GT G60 mit der Startnummer 97 ist vorbereitet – und hat das Wichtigste im Gepäck für diese Tour: Spaß und gute Laune.

Mittagsrast mit Führung und lustigen Spielen in der alten Brikettfabrik …

… zu der das Volkswagen Classic Team geschlossen in Reihe eintrifft.

Scirocco II als Sondermodell White Cat von Volkswagen Classic: Die weiße Katze ist als Pressefahrzeug auf flotten Pfoten auch bei der creme21 unterwegs.

Die legendäre Kofferfrage ist das Spiel, das es bei jeder creme21 gibt. Man muss auf alle Eventualitäten gefasst sein – und kann trotz höchster Konzentration ganz gepflegt daneben liegen.

So sieht auch eine typische creme21-Wertungsprüfung aus: „Augen zu und alles, was kein Ball ist, raus aus dem Pool!“ Oh Mann.

Historische Gemäuer gibt es en masse während der creme21 zu bestaunen. Wir posieren dann auch gern mal. Klick!

Innerhalb einer Minute sind maximal viele Runden zu fahren – ohne, dass Seil und Blechdose den Boden berühren. Team Passat GT G60 gibt alles …

… und auch das Team im GTI gibt den Dosenkavalier. Ganz ehrlich? Was für eine Gaudi!

Von A bis Z, alles dabei. Bei knapp 200 Youngtimern am Start gelingt nur leider kein Gruppenfoto.

Jetta I, T3 und Käfer 1302 Cabriolet geben sich ein Stelldichein vor einer weiteren Prüfung.

Was man unterwegs alles für spannende Fahrzeuge trifft: Giorgetto Giugiaro entwarf sowohl den Alfasud als auch wenig später den Golf I. Grazie, Maestro!

Berlin, ehemaliger Transit-Kontrollpunkt Dreilinden. Heute freie Fahrt – wenn nicht gerade wieder ein Spiel anstünde.

Industriekultur im Bergbau-Technik-Park Großpösna: Und plötzlich ist der Golf GTI ganz klein …

Die ehemalige Berliner Rennstrecke feiert am Tag unserer Visite ihren 100. Geburtstag. Erhalten geblieben ist der Zielrichterturm mit den umlaufenden ehemaligen Zuschauertribünen.

Nur einmal völlig anders, als man denkt. Welcher Abdruck gehört zu welchem Modell? Zeit läuft!

Zu guter Letzt treffen wir am Ziel in Leipzig ein. Dort heißt es, einen Styroporflieger auf Zeit zusammenzubauen. Hm. Der GTI ist da eher als wir von null auf hundert …

Wir kommen wieder, versprochen! Abschied nehmen vom Einser-GTI heißt es, umsteigen in den aktuellen GTI*. Mit dem fahren wir noch rasch nach Hamburg. Warum?
(* Golf GTI (180 kW/245 PS) – Kraftstoffverbrauch in l/100 km (NEFZ): innerorts 9,0–8,6/außerorts 5,6–5,3/kombiniert 6,9–6,5; CO2-Emission kombiniert in g/km: 157–149; Effizi-enzklasse: D–C )

Na, weil ER da lebt: Anton Konrad, Initiator des Golf GTI, den er mit weiteren Aficionados zwischen 1974 und 1975 im Geheimen konzipierte und baute. „Der Achter hat den Sound und die Power“, sagt er zur neuesten Generation. Danke, Mr. GTI!
Von Slalom bis Kichererbse, von Barock bis Plattenbau
Das Volkswagen Classic-Serviceteam im T3 California: Auch bei der Wertungsprüfungen voll im Einsatz.
Gleich nach erfolgtem Start wartet auch schon die erste Wertungsprüfung auf uns: ein Slalomkurs auf unbefestigtem Terrain. Das wirbelt mächtig Staub auf, direkt vor uns startet der T3 California und neigt sich auf dem Parcours beeindruckend weit nach rechts und links. Was der schafft, schaffen wir auch! Anna legt den ersten Gang ein, Startflagge runter, Gaspedal auch. Klappt ganz gut, aber finde in den Staubwolken mal die nächste Pylone!
Unterwegs gibt es eine spontane Straßensperrung, also ausnahmsweise Navi anstatt Roadbook und flugs drum herumgeeilt, zurück auf die offizielle Route. Hierbei machen wir Bekanntschaft mit dem jahrhundertealten Pflaster vergessener Nebenstrecken. „Hast du noch Plomben?“, fragt Anna mich mit grinsendem Seitenblick. Ich nicke vorsichtshalber mal mit geschlossenem Mund.
Der kleine GTI fliegt flink durch Wald und Flur. Fahraktiv ist er, macht große Freude auch in kleinen Kurven. Klar. Spielt mühelos sein gutes Leistungsgewicht aus gegen das übrige Starterfeld, in dem auch durchaus „ausgewachsene“ Coupés, Limousinen und Sportwagen mitfahren. Alles bleibt jedoch sportlich im besten Sinne von Fairness, fahrerischem Können und Freude. Mittagspause ist im Bergbau-Technik-Park bei Großpösna. Vor dem hier „geparkten“ riesigen Braunkohlebagger wirkt selbst der T3 mit Hochdach ziemlich lütt. Beeindruckend komplett wird hier der Prozess des Braunkohleabbaus dokumentiert, vom Baggern der Grube bis zum Wiederauffüllen. Apropos „auffüllen“: Das müssen wir auch im Rahmen einer weiteren Wertungsprüfung. Bei der stellen wir uns mit zehn Kichererbsen in der Hand über eine am Boden stehende leere Glasflasche, die wir nun von oben herab mit besagten Erbsen füllen dürfen. Und was ist der Flaschenhals eng ... Wir schaffen immerhin sechs von zehn! Wir düsen weiter. Abends erreichen wir das schöne Dresden mit seinem architektonischen Spektrum von Barock bis Plattenbau. Ausklang bei Pizza & Pasta. Basta.
Ein Koffer voller Geheimnisse
Legendär sind übrigens die creme21-Kofferfragen. Bei denen bekommt jedes Team für 21 Sekunden den Inhalt eines 70er-Jahre-Köfferchens zu Gesicht. Man weiß nie, was einen erwartet. Einmal kleben da die Sticker von diversen Rennveranstaltungen (Le Mans, creme21 etc.) im Deckel und unten liegen Ring- und Maulschlüssel, mal ist es die Filmhülle des Kultfilms „Ein ausgekochtes Schlitzohr“. Anna und ich versuchen jeweils, so viele Details wie möglich abzuspeichern oder zu notieren. Koffer 1: Okay, wie viele Ring-, wie viele Maulschlüssel waren es, welche Größen? Welche Rennveranstaltungen in welchen Jahren? Koffer 2: Okay, Burt Reynolds und Sally Field spielen neben einem Pontiac Trans Am die Hauptrollen … Stopp! 21 Sekunden sind vorüber, wir starten durch – die Fragen zu den Koffern gibt’s dann jeweils eine Station später. Das kann echt gemein werden, wenn die Frage zu Koffer 1 lautet: „Welche Ringgröße hat Streckenposten Nina, die euch den Koffer hingehalten hat?“ (Anmerkung: Wir waren nah dran!). Und wer beim Schlitzohr-Film den Namen des Sheriffs („Buford T. Justice“), die Menge an zu schmuggelndem Bier (eine Truckladung voll) und das Erscheinungsjahr des Films (1977) weiß, sammelt ebenfalls Punkte.
Von Koffer bis Flugzeugbau: Die kreativen Wertungsprüfungen der creme21 meistert auch Team GTI mit großer Freude.
AVUS, Alleen und Abschluss: Am Ende der Etappe steht ein Geburtstagsbesuch in Berlin an: Die berühmte Rennstrecke AVUS, von der leider nur noch wenige Teilbereiche erhalten sind, feiert an diesem Tag ihren 100. Geburtstag. Daher stehen auf dem erhaltenen Teilabschnitt ehemalige Rennboliden wie der legendäre Audi Rennwagen Typ D in simulierter Starterfeld-Aufstellung. Gänsehaut-Feeling garantiert! Volksfestähnlicher Charakter herrscht, eigentlich hätten Anna und ich jetzt noch die letzte Wertungsprüfung des Tages (Wettrennen mit ferngesteuerten Autos) absolvieren müssen, aber die übersehen wir tatsächlich. Wahrscheinlich, weil es bei unserem Eintreffen schon dunkel ist und uns zusätzlich die alten AVUS-Boliden so blenden …
Auch der letzte Tag mit Ziel Leipzig führt uns über klassische Alleen, vorbei an Seen und Sehenswürdigkeiten. Immer wieder geben wir dem kleinen GTI die Sporen, genießen die Elastizität der Maschine, die Exaktheit der Lenkung, die Spurtreue des Fahrwerks. Kurz vor dem Ziel müssen wir noch die Abdrücke von Modellautos in Knetmasse zuordnen und einen Styroporflieger auf Zeit zusammenbauen. Abends ist Abschlussparty und Siegerehrung, zudem wird ein Youngtimer für einen guten Zweck versteigert.
Dann, am nächsten Tag, geht’s heim – wieder im GTI, dieses Mal jedoch im aktuellen Golf GTI01. Mit dem besuchen wir noch schnell GTI-Erfinder Anton Konrad in Hamburg. Dessen Urteil: „Der hat die richtigen Zutaten. Es ist wichtig, dass es immer wieder einen GTI gibt.“
In Wolfsburg bei Volkswagen Classic werden Ceyhan, Steffen und die Kollegen den kleinen schwarzen Einser-GTI durchchecken und wieder einlagern. Aber nicht zu weit hinten im Depot bitte. Die nächste „Creme“ kommt bestimmt.
01 Golf GTI (180 kW/245 PS) – Kraftstoffverbrauch in l/100 km (NEFZ): innerorts 9,0–8,6/außerorts 5,6–5,3/kombiniert 6,9–6,5; CO2-Emission kombiniert in g/km: 157–149; Effizienzklasse: D–C (Stand 09/2021)
So war's für das Team mit Startnummer 97:
Marco Degenhardt, der Passat Variant GT G60 und die creme21 youngtimer rallye im Halle 77-Film